mehr über cranio

"Wenn du Stille würdest wäre dir geholfen." (Meister Ekkehardt)

 

Biodynamik

 

Der Begriff Biodynamik wird sowohl im Zusammenhang mit dem Körper als auch der Landwirtschaft verwendet und bedeutet im weitesten Sinne Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit. Statt einer angenommenen Trennung von Körper und Psyche geht man in der Biodynamik davon aus, dass Körper und Psyche eine Einheit bilden. Die Annahme, dass die Klientin Selbstheilungskräfte besitzt, ist ebenfalls Teil des Biodynamischen Konzepts. Im Gegensatz zu einer biomechanischen Vorgehensweise, bei der aktive Behandlungstechniken eingesetzt werden, um Gewebespannungen gezielt aufzulösen, richtet die Biodynamikerin ihren Fokus auf die den Spannungen zugrunde liegenden organisierenden Kräfte und gibt dem Körper den Raum, um seinen ureigenen Heilungsplan zu entfalten.

 

Die biodynamische Annäherung an den Körper ist das Mittel meiner Wahl, weil sie alle Aspekte abdeckt, die mir am Herzen liegen: Sie ist respektvoll, achtsam, geschieht aus der größtmöglichen Stille heraus; im Wissen, dass sobald ich einen anderen Körper berühre, unsere beiden Systeme in einen Dialog gehen; im Vertrauen darauf, dass der Körper immer für uns arbeitet und in jeder Situation das bestmögliche Gleichgewicht herstellt. Im Wissen, das eines der machvollsten Werkzeuge das Wahrnehmen und Mitfühlen (im doppelten Sinne) darstellt.

 

First Contact

 

Meinen ersten Kontakt mit Craniosacraler Therapie hatte ich in den Neunzigern während meiner Zeit in Freiburg. Als Tänzerin gehörten strukturelle Beschwerden zum Alltag. Ich wusste schon, dass manipulative chiropraktische Interventionen auf meinen Körper kontraproduktiv wirkten und ihn zusätzlich „beleidigten“. Ganz anders die Erfahrung bei einer Cranio-Behandlung: Ich hatte die Empfindung, flüssig zu werden, und mein verschobener Wirbel fand ganz von selbst wieder seine richtige Position.

 

Wie immer, wenn mich ein System oder einer Methode faszinierte, stand für mich schon damals fest, dass ich irgendwann selbst tiefer in diese flüssige Welt eintauchen wollte. Auf meiner Forschungsreise, was heilt, hatte ich in meiner Karenzzeit zwischen den Geburten meiner zwei Kinder endlich die Kapazitäten, mich auf die dreijährige Abenteuerreise der Ausbildung zur Craniosacralen Biodynamikerin zu begeben. Schon beim Schnupperkurs, als ich versuchte, zu begreifen, wie „es“ funktioniert, war mir klar, dass „es“ sich um eine Wahrnehmungsschulung handelte.

 

Wie also genau funktioniert Cranio?

 

In unserem Körper ist, so lange wir leben, ein ganzes Orchester an verschiedenen Rhythmen aktiv, neben dem Herzschlag und seinem Echo in den Gefäßen sind da der Atem, das Wechselspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus, die elektrischen Impulse der Nerven, die Darmperistaltik, das Ausschütten von Hormonen, der Austausch von O2 und CO2 in den Lungenbläschen und vieles mehr.
In der Craniosacralen Wahrnehmung stellen wir uns auf die stetige Inhalation und Exhalation des Liquors in unserem Körper ein, der sich ausgehend vom 4. Ventrikel in sämtlichen Geweben fortsetzt. In den verschiedenen Schulen wird zwischen drei Rhythmen unterschieden: dem cranialen Rhythmus, der lokal im Gewebe zu erspüren ist, der übergeordneten, langsameren Midtide, über die wir uns auf die individuellen Selbstheilungsressourcen eines Systems beziehen, und der Longtide, der langsame Lebensatem oder -puls, der bei allem, was lebendig ist, im selben Rhythmus schwingt.

 

Das Einstellen der Wahrnehmung etwa auf die Midtide, kann man sich vorstellen, wie das Einstellen auf einen bestimmten Radiokanal, der permanent sendet, egal ob wir auf Empfang sind oder nicht. Die Behandlung entspricht einer Kommunikation zwischen Behandlerin und Klientin, bei der der Körper und seine Flüssigkeiten sich mitteilen. Die Intervention der Behandlerin besteht im Wahrnehmen und damit sprichwörtlichen Mitfühlen. Ähnlich wie bei einer guten Therapiesitzung eröffnet die Behandlerin dem System durch ihre wahrnehmende respektvolle und auf die Selbstheilungskräfte vertrauende Haltung Lösungsmöglichkeiten.  

 

Die Haltung: Wissen versus nicht Wissen

 

Wie auch immer man es nennen mag: Krankheiten, Blockaden, Dysbalancen, Fulcren oder Spannungen sind multifaktoriell. Ebenso gibt es viele Wege, sie wieder aufzulösen. Wenn wir unter körperlichen Beschwerden oder seelischen Belastungen leiden, neigen wir allerdings dazu, unseren Fokus auf das zu lenken, was nicht im Gleichgewicht ist. In der Craniosacralen Biodynamik beziehen wir uns jedoch auf die Ressourcen und das, was gut ist.

 

In der Craniosacralen Biodynamik liegt der Fokus deshalb nicht auf dem Beseitigen von Symptomen, sondern darin, das jeweilige System darin zu unterstützen in seiner eigenen Zeit seinen eigenen individuellen Weg zu finden, um ein umfassenderes Gleichgewicht zu finden und die gebundenen Kräfte wieder freizusetzen.

 

Ähnlich wie in den aktuellen psychotherapeutischen Schulen vertrauen wir darauf, dass jedes System die Lösung selbst kennt. In der TCM heißt es: „Die fünf Elemente sind wie Schlangen in einem Bambusrohr. Es ist immer eine oben.“  Das heißt, es gibt kein stabiles Gleichgewicht. Leben bedeutet im Fluss sein. Im stetigen Austausch mit der Umwelt gilt es, das innere Gleichgewicht immer wieder neu herzustellen. Wir gehen deshalb davon aus, dass Beschwerden nicht etwas sind, was unser Körper uns antut, sondern das beste Gleichgewicht, dass unter den gegebenen Umständen möglich ist. Durch das sprichwörtlich haptische Mitfühlen wird Ungespürtes spürbar, werden Zusammenhänge erkennbar und Lösungswege sichtbar, das Ganze wird wieder erlebbar.  

 

Wir sind offen für das, was sich über die Berührung mitteilt, denn jedes System ist individuell. Es gibt kein Rezept für bestimmte Beschwerden, Symptome lassen sich nicht, wie manche Schulen behaupten, wie Vokabel eindeutig bestimmten Themen zuordnen, denn jeder Körper symbolisiert anders, hat eine eigene Sprache. Wir behandeln deshalb in dem Paradox, uns auf der Basis von Wissen und Erfahrung immer wieder dem „nicht Wissen“ hinzugeben. Die Haltung in der Cranio entspricht für mich deshalb der in spirituellen östlichen Schulen, an der sich etwa auch die Achtsamkeitsschulen orientieren.

 

Psychosomatik

 

Über die Jahre hat sich heraus gestellt, dass mir die Psychosomatik ein besonderes Anliegen ist. die gängige Triade von Körper, Geist und Seele ziehe ich mit Vorbehalt heran, weil ich als Germanistin um die Suggestionskraft von Wörtern weiß. Selbst wenn wir von Ganzheitlichkeit sprechen, suggerieren die drei Begriffe, dass sie grundlegend voneinander getrennt sind. Diese Denkweise ist noch das Erbe der Aufklärung, der wir zu verdanken haben, dass wir nicht mehr Sklaven abergläubischer Grundannahmen sind.

 

Die Trennung  von Körper und Geist, das Prinzip der Kausalität und die Linearität waren ein Segen und ein wichtiger Entwicklungsschritt, doch aktuell befinden wir uns in einer Zeit des Übergangs: Es gilt, wieder zu integrieren, was lange Zeit getrennt war.

 

In diesem Sinne verstehe ich den Körper tatsächlich nicht als etwas vom Geist getrennt Bestehendes, sondern als materiellen Ausdruck von dem, was wir als Geist oder Seele bezeichnen. „Wenn du wissen willst, wie der Wind weht, sieh dir die Dünen an“, formulierte es Bonnie Bainbridge Cohen, Begründerin der Body Mind Centering. Der Wind, Geist, formt unseren Körper, die Dünen. In der Cranio unterstützen wie den Körper, die Dünen dabei, die gröberen Spitzen wieder einzubinden in eine rundere, ausgewogenere Form.

 

Gefühle und Integration

 

Ich begreife Gefühle als unseren Kompass auf unserem Weg der Entfaltung. Negative oder unangenehme Gefühle zeigen eine Diskrepanz an zwischen dem, was ist und dem, wohin wir streben. Genauso wie in der TCM jedes Element und jedes dem jeweiligen Element zugeordnete Organsystem einen entsprechende Gefühlsaspekt hat (z.B. Niere – Angst), kommunizieren sich auch bei Cranio beim haptischen Mitfühlen Emotionen mit. Tauchen sie auf, bekommen sie ihren Platz, indem wir die Ganzheit im Blick haben und sie wieder ins Spüren, in den Körper einbinden.

 

Denken, Fühlen und Empfinden sind unterschiedliche Facetten des Bewusstseins mit ihren eigenen Dynamiken. Die Feinunterscheidung ist jedoch im Alltag eine Herausforderung. Gerade das Empfinden, das dem-Körper-Zuhören ist dieser Tage nicht unbedingt unsere Stärke. Meist nehmen wir unseren Körper erst wirklich wahr, wenn er aufgrund seiner Beschwerden nicht mehr zu übergehen ist. Der französische Philosoph und Phänomenologe Merleau-Ponty sprach von unserem Körper als einem, der schweigend hinter unseren Worten und Handlungen steht. Aus Sicht der Cranio teilt sich unser Körper jedoch ununterbrochen mit, wir sind nur nicht gewohnt, auf seine leisen Töne zu achten. Abgesehen von ihrem heilsamen Potenzial leistet für mich persönlich die Craniosacrale Arbeit in unserer auf Leistung und Effizienz ausgerichteten Gesellschaft deshalb einen Beitrag bei der Rehabilitation und Reintegration unseres Körpers als Sitz unserer Lebendigkeit und unserer Weisheit - „Finde ich meinen Körper, so finde ich mich selbst.“ (Vladimir Iljine).